Latrie

Sonntag, 18. Februar 2007

Synthese

Gottfried Benn

Synthese

Schweigende Nacht. Schweigendes Haus.
Ich aber bin der stillsten Sterne;
Ich treibe auch mein eignes Licht
Noch in die eigne Nacht hinaus.

Ich bin gehirnlich heimgekehrt
Aus Höhlen, Himmeln, Dreck und Vieh.
Auch was sich noch der Frau gewährt,
Ist dunkle süße Onanie.

Ich wälze Welt. Ich röchle Raub.
Und nächtens nackte ich im Glück:
Es ringt kein Tod, es stinkt kein Staub
Mich, Ich-begriff, zur Welt zurück.

Beide schweigen, Verzicht auf die gewonnene Fähigkeit des Sprechens in der Antropormorphie, Isokolie vereint beide, im Verzicht findet die Weltsynthese statt, der die Ich-Synthese folgt; die Weltsynthese, wird aufscheinen, ist dennoch nur Teil des Ich und ständiger Prozess, obgleich beendet, immer wieder neu. "Der stillsten Sterne": Genitivangabe und Artikel auch zugleich, Klang Alliteration Paradoxon, Superlativ malt den Tod ohne vorherige Belebung in der Metapher wie zuvor, das Stillste, das ist, von der in widersprüchlicher Distanz glimmenden Pluralität kein bisschen erleuchtet und mit dem Widerspruch des Ich zur Welt verbunden: "aber". Gegenrichtung ist eingeschlagen "Ich" "Ich" anaphorisch muss dem widersprechenden Ich der Zeile zuvor entsprechen, das eigene Licht ist "getriebenes" Stück Vieh, dass im innern einen Kampf austrägt, in die "eigne Nacht hinaus", ins Äußere getragen und doch verinnerlicht.
"Gehirnlich" Neologismus Adverb mit Nachnamen, Rückkehr in das Nest, die das Nest erst errichtet, "Höhlen" "Himmel" Alliteration zur Einheit der Antithese, Erwartung der Antithese wird enttäuscht: Antithese noch darin: "Dreck und Vieh"; Eingesponnen in die eigene Synästhesie, Gegensätze kann es nicht mehr geben: "Auch was sich noch der Frau gewährt".
Heimkehr in die eigene Nacht vollendet - schreiende Weltdistanz Alliteration, Irrweg - Neubeginn Strophe 1

Mittwoch, 17. Januar 2007

Requiem

Gottfried Benn

Requiem

Auf jedem Tische zwei. Männer und Weiber
kreuzweis. Nah, nackt, und dennoch ohne Qual.
Den Schädel auf. Die Brust entzwei. Die Leiber
gebären nun ihr allerletztes Mal.

Jeder drei Näpfe voll: von Hirn bis Hoden.
Und Gottes Tempel und des Teufels Stall
nun Brust an Brust auf eines Kübels Boden
begrinsen Golgatha und Sündenfall.

Der Rest in Särge. Lauter Neugeburten:
Mannsbeine, Kinderbrust und Haar vom Weib.
Ich sah von zweien, die dereinst sich hurten,
lag es da, wie aus einem Mutterleib.



Die Ellipsen im ersten Satz: Hier hat die Zahl Zwei, zwei Menschen zugeordnet, kein Verb , kein weiteres Substantiv bei sich, um dem Menschen Aufwertung geschehen zu lassen. Er ist eine Zahl, die an "jedem Tisch" aufplatzt in das "jede", in die Unendlichkeit demnach. "Männer und Weiber" - Evolution rückwärts zum Körper hin, das Wîp schließlich war die mittelhochdeutsche Frau, später aber pejorativ. Die Körper bekommen sich selbst und eine Richtung, in sie wird die Zahl implantiert, an der ihnen die Bäuche aufplatzen. "Nah, nackt", alliterierende Nähe ist Sexualität, der einzige Geist, der diesen Leibern innewohnte, "dennoch ohne Qual", denn die andere Option ist nur der Tod. "Den Schädel auf", "die Brust entzwei" Zerbrechen in Einzelteile, aus denen die Zahl als Unendlichkeit aufsteigt und an der wahren Unendluchkeit zerstäubt: "gebären nun ihr allerletztes Mal", mehrdeutig gefasst: Ihr allerletztes Leben.
Das Geplatzte füllt drei Näpfe, denn die Ellipse steht in enger Beziehung zur Elipse des ersten Verses: Die Unendlichkeit und der Geist aus der ersten Strophe, zu Flüssigkeit zersetzt, legen "voll" die Näpfe. "Von Hirn bis Hoden" - das wahre Wesen, ein schmutziges Organ. Verspottung des Geistes als "Gottes Tempel" und "Teufels Stall", Gebäudemetaphern, das hohle Gebäude der Organe ist personifiziert: Die Organe als Wohnstätte des Geistigen, die den ständigen Reinkarnationen beizuwohnen haben im ewigen Kreis aus Vergebung und neuer Sünde, aus "Golgatha und Sündenfall" im Hysteron Proteron.
Der Spott setzt sich fort: Elliptisch fällt der geistlose Rest in den Sarg. Einzelteile sind "Neugeburten", deren Leben als Gegenstand, entleibter als tot, des Begrinsens, sicher aber nicht mehr noch, würdig ist.

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